Opfer

Was ist eigentlich ein Unrechtstaat?

Es gibt derzeit eine Diskussion, ob es wichtig ist, dass man die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet. Daran soll man einen Demokraten erkennen können. Die Diskussion verdient Beachtung.

War die DDR damals ein Unrechtsstaat? Ist die BRD heute ein Rechtsstaat? Was ist eigentlich ein Unrechtsstaat? Was ist ein Rechtsstaat?

Der Begriff Rechtsstaat ist einigermaßen klar. Die alte Bundesrepublik war – auffällig wohl erst in den 60er und 70er Jahren - als Rechtsstaat schon ziemlich einzigartig.  Es gab nicht viele Länder auf der Welt, nicht einmal in Europa, in denen der normale Bürger gegen ein geplantes Großvorhaben (Autobahn, Kraftwerk, Mülldeponie) mit Rechtsmitteln vorgehen konnte. Das Grundgesetz, welches die BRD erst zum Rechtsstaat machte, in dem es alle staatliche Gewalt Recht und Gesetz unterstellte, verpflichte dazu alle staatlichen Organe, ihre Entscheidungen, mit denen Bürger belastet werden, zu begründen und dem Bürger gegen alles ihn beeinträchtigendes staatlichen Handeln effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Daran erkennt man einen Rechtsstaat.

Der Begriff Unrechtsstaat taugt deshalb wenig. Es gab in der DDR keinen Rechtssatz, der dem Staat gebot, willkürlich zu entscheiden oder seine Entscheidungen nicht zu begründen. Die Bürger konnten sich gegen Unrecht wehren und die Rechtsmittel, die der Einzelne z.B. am Arbeitsplatz hatte, waren vermutlich effektiver als sie es heute sind. Sicher gab es von Seiten des Staates gemeines Unrecht und die, die vom Staat als Abweichler drangsaliert, eingesperrt oder verfolgt wurden, verdienen unser Mitgefühl, unseren Respekt und unsere Hochachtung vor ihrer Widerstandsleistung. Wäre die DDR aber ein Unrechtsstaat gewesen, dann müssten Richter Unrichter, Rechtsanwälte Unrechtsanwälte, Lehrer Verführer und alle, die sich am kollektiven Unrecht in keiner Weise beteiligen konnten, Opfer gewesen sein.  Ich glaube nicht, dass der Begriff trifft und halte diese Diskussion auch nicht für zielführend.

Zielführend ist es, Unrecht als solches erkennen, wiedergutmachen und für die Zukunft vermeiden zu wollen. Zielführend ist es, nach dem Recht und damit nach materieller Gerechtigkeit zu streben. Und zielführend ist vor allem, sich hier und jetzt darum zu sorgen. Denn es gibt zu viele Rechtsanwälte, die sich darauf spezialisiert haben, Unrecht als Recht zu verkaufen. Es gibt zu viele Richter, denen es egal ist, ob ihre Entscheidungen materiell richtig sind und zu viele Entscheidungen, die deswegen gar nicht mehr oder nur scheinbar begründet werden. Es gibt zu viele Politiker und zu viele (angestellte!) Vorstände von Banken und großen Konzernen, die nur an ihr eigenes Wohl denken.  Und deshalb gibt es leider zu viel Unrecht in unserem Rechtsstaat.

Meine Lebenspartnerin und ich gedenken heute des Jahrestages und haben auf das Erreichte ein Glas Sekt getrunken. Wir sind Wiedervereinigung. Ost und West. Trotzdem haben wir den gleichen Traum von einer gerechten Welt. Warum eigentlich „trotzdem“?